Der dämmrige Schlaf…

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…der kalten Tage. Der Zwischenstopp in Istanbul auf dem Rückweg von Usbekistan liegt einfach auf der Hand. Und wie lange ist es schon her, seitdem ich durch die Stadt gewandert bin. Seit den Tagen der machtvollen Präsenz des alleinigen Herrschers war ich nur einmal da, ganz kurz, für ein paar Stunden. Zeit also für einen kurzen Besuch an den alten Stätten. Deswegen fahre ich mit der Fähre auf die Prinzeninseln. So eine Fähre ist immer ein guter Ort, nicht nur bei fliegenden Händlern Zitronenpressen zu kaufen, sondern um sich auch ein Bild zu machen. Wie ist die Stimmung in der Stadt? Eigentlich sind alle auf Ausflug, wenn sie zu den Inseln schippern. Aber die Stimmung ist gedrückt. leise und still. Man bleibt unter sich, die Familien sitzen zusammen. Es sind wenige junge Leute, die heute unterwegs sind. Vielleicht ist es das kalte Wetter, vielleicht ist es das kalte Klima. Ich vermisse die Lebensfreude und finde gefühlt, dass sich die Zahl der schwarzen Tücher vervielfacht hat. Wie unterschiedlich lebensfroh sind doch die alten Aufnahmen auf facebook, die ein türkischer Anwalt unter dem Slogan „before sharia spoiled everything“ da aus den 60er und später postet. Es ist ein gewaltiger Sprung nach vorwärts zurück. Aber Istanbul wäre nicht Istanbul, wenn viele nicht einen Weg fänden, sich zu arrangieren. Und so denke ich, dass der Rückzug ins Private und ins familiäre Umfeld durchaus mit den momentanen Gepflogenheiten zu tun hat. Wäre, war und ist bei uns wohl nicht anders.

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Im Hotel jedenfalls freut man sich. „Wir vermissen die deutschen Gäste sehr.“ Ich glaube dem jungen Mann aufs Wort. Das „warum und wieso“ viele momentan nicht mehr kommen, weiß er selbst, und spricht mit viel leiserer Stimme über die momentane Lage. Etwa, dass alleine rund um sein Hotel sieben andere Hotels in den letzten beiden Jahren geschlossen haben und einige weitere bald  schließen werden. Schon etwas bedrückend.

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Aber trotz aller misslichen Töne in den letzten Jahren lebt die türkische Gastfreundschaft. „Von wo kommst du?…“ Und los geht´s und schön, dass man da ist, und wie einem die Stadt gefällt. Und plötzlich kommt etwas Leben auf, ein Funkeln in den Augen, die Pistazien werden rausgeholt, dem Gast in die Hand gedrückt. Dann legt sich die Frau kurz hin, nickert ein paar Minuten vor sich hin. Auch sympathisch, diese gelassene Unbekümmertheit und diese Unkompliziertheit. Da können wir immer noch lernen. Überhaupt tut es gut, wirklich einmal sehr gut, ein paar Stunden hier zu verweilen. Sich selbst ein Bild zu machen, statt immer nur zu lesen und zu hören.

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Und auf den Inseln? Alles beim alten, nur dass alles noch etwas verfallener ist, das griechische Ambiente verschwindet, und große Türkeifahnen vor manchen Häusern wehen. Das Zuckerbäckerhotel hat seit zwei Jahren geschlossen. Und es sieht auch nicht so aus, als ob es in den nächsten Jahren wieder öffnen würde. Schade, aber nachvollziehbar, dass man gerade keine Motivation hat, hier ein griechisch geführtes Hotel zu betreiben. Dazu ist der Wind zu rauh.

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36 Stunden Zwischenstopp, um der Wehmut Istanbuls nachzuspüren. Was am Ende steht? Die Einsicht, dass Istanbul immer noch eine der faszinierendsten Städte ist, dass es viel – sehr viel weniger – ausländische Besucher aus dem Westen sind. Dass die Bazare leer sind und auch die Kneipen. Und, dass vieles sich geändert hat. Der Himmel in Istanbul hängt nicht unbedingt voller Geigen und auch nicht voller wilder Gibson-Gitarren. Wenn schon, dann hängt er eher voller Oud. Aber die Oud ist eben auch ein Instrument der Wehmut. Und Wehmut, hüzün, ist eine Grundeigenschaft der Istanbuler. Wie hat der junge Mann im Plattenladen gesagt: „Es gibt bei uns nur noch wenige Menschen, die Jazz hören.“ Ich hab in seinem Laden noch ein paar starke Platte gefunden, ein paar hab ich mitgenommen. Die anderen hole ich mir dann im Sommer.

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