Auf den Geschmack gekommen…

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Kann man hoch im Norden, weit entfernt von Italien und Frankreich, überhaupt eine aufstrebende und dynamische Feinschmeckerregion erwarten? Definitiv! Entlang der Ostseeküste reihen sich in Estland und Lettland feine Adressen. Mit hoher Qualität, ausgezeichneten Kombinationen und einer charmanten, ungezwungenen Art, die Gerichte selbstbewusst zu präsentieren. Der White Guide Nordic ist so etwas wie die hohe Bibel des guten Geschmacks für die nordischen Länder. Er bringt es auf den Punkt: „Es gibt keine bessere Zeit als jetzt, um Restaurants im Baltikum zu besuchen!“
Tallin – die mittelalterliche Gourmetmetropole
Tallin, das baltisch-deutsche Reval, liegt am Finnischen Meerbusen. Die meisten Besucher kommen wegen dem mittelalterlichen Stadtbild. Nur wenige Städte im nördlichen Europa haben es über die Wirren der Jahrhunderte geschafft, ihr mittelalterliches Erscheinungsbild so zu erhalten. Kopfsteingepflastert lockt die Altstadt mit zahlreichen Cafés und Geschäften und historischen Bauwerken wie dem dicken Verteidigungsturm Kiek in de Kök aus dem 15. Jahrhundert. Der Rathausplatz Tallinns wird vom dem im 13. Jahrhundert errichteten gotischen Rathaus dominiert. Kirchen und alte Giebel- und Gildehäuser zeigen frühen Reichtum. Nur wenige Minuten Luftlinie entfernt prunkt Schloss Katharinenthal, von Peter dem Großen für Katharina I. im damals russischen Tallin erbaut. Es gibt genug zu sehen und schon beim ersten Bummel durch die Stadt fällt auf: In Tallin liebt man Restaurants, Cafés, Weinstuben, Bierkneipen.
Der White Guide ist so etwas wie der Guide Michelin des Nordens. Er vergibt jährlich das Ranking der besten Restaurants Nordeuropas. Im Vergleich zum Vorjahr hat das Baltikum einen Quantensprung gemacht: Waren es im letzten Jahr nur 60 ausgezeichnete Restaurants im gesamten Baltikum, so sind es in diesem Jahr bereits 114 allein aus Estland. Vier Restaurants in Tallin haben es in die Top 10 geschafft. Wie schon fast immer das NOA Chef´s Hall von Tõnis Siigur, das temporäre Alexander´s Cheftable in den Wintermonaten (und das „Stammrestaurant Alexanders auf Muhu), das Gourmet Coffe Restoran Juur und das junge Team des  Restoran Ö. Die Spitzenreiter haben ihren Preis und setzen hohe Vorgaben. Viele ambitionierte Restaurants folgen mit erfreulich preislichem Abstand auf sehr hohem Niveau. Ein Beispiel dafür ist das Restaurant CRU, immerhin die Nummer 17 im White Guide, mitten in Tallins vielbesuchter Altstadt. Ein Drei-Gänge-Menü ab 35 € – das ist mehr als reell. Kombiniert mit heimischen Produkten bester Qualität. Nicht nur Pilze, Beeren oder Wild, sondern eben auch Gemüse und Obst, manchmal sogar vegan. Begleitet von überraschenden Weinkarten, wird eine Küche kredenzt, die sich oft vielseitiger und kosmopolitischer präsentiert, als man es vom hohen Norden erwarten mag. Liegt es an der Region, der alten Tradition der Hanse, sich dem Fremden zuzuwenden, oder an der Kreativität der Jungen? Erfrischend ist, dass nicht nur französische oder italienische Einflüsse spürbar sind, sondern im gleichen Atemzug asiatische und nordische im ausgetüftelten Cross-Over mit der einheimischen Tradition. Da kann schon mal Kokos und nordisches Wild sich auf einem Teller treffen, Zander in Molke baden oder Lamm in der Salzkruste sich verstecken. Deftiges und Feines, Leichtes und Schweres, Fisch aus Meer und See, für uns ungewohntes Fleisch vom Wild, Elch, manchmal sogar Bär. Eine phantastische Palette, die es zu erkunden lohnt. Aber auch die Tradition hat ihren Platz. Ein gutes Beispiel dafür ist das Café Maiasmokk in der Altstadt. Es ist eine Institution in Tallinn und das seit mehr als 210 Jahren. Gekrönte Häupter nicht nur vom Zarenhof kamen hierher, um das beste Marzipan im gesamten baltischen Raum zu genießen.
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Manors – der stilsichere Genuss…

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…Baltisch-deutsche Adlige lebten durchaus mit Stil und Komfort. Einige der herrschaftlichen Güter sind restauriert und zu noblen Herbergen umgestaltet. Ein Höhepunkt sind die drei Landgüter Palmse, Sagadi und Vihula im heutigen Nationalpark Lahemaa, rund 80 Kilometer östlich von Tallin. Palmse geht zurück bis ins 13. Jahrhundert, das einstmals deutsch-baltische Anwesen bietet neben feudalen Gutsherrenprunk auch eine eigene Brennerei. Schließlich verdiente man in gutsherrlichen Zeiten sein Geld mit Kartoffeln und Wodka für Russland. Sagadi datiert zurück bis ins 14. Jahrhundert. Im Gutsrestaurant findet sich neben traditionsreicher estnische Kost auch Bärensteak. Der Höhepunkt aber ist definitiv das Landgut Vihula. Eine Nacht im weitläufigen Anwesen, der Bummel durch den Park und am Abend ein delikates Menü. Vihula Manor verfügt über eines der besten Fine-Dining Restaurants in ganz Estland. Stilecht befindet sich das Restaurant im ehemaligen Ballsaal des neuen Herrenhauses. Es ist aber noch Platz nach oben!
Auf der Insel Muhu (Mohninsel), eine der 1517 Inseln vor Estlands Ostsee, welche die Balten Westsee nennen,  wartet Pädaste Manor – Estlands einzigartiges Hideaway Resort. Der Holländer Martin Breuer und der Este Imre Sooäär übernahmen 1996 das historische Landgut, das seit den 80er Jahren leer stand. Heute ist es als Resort & Spa zum Tophotel im Baltikum aufgestiegen. Das Restaurant Alexander (im Winter als Alexander´s Cheftable in Tallin) ist die Nummer fünf im Baltikum. Immerhin im  Paketpreis inklusive Übernachtung und Dinner ab 170 € pro Tag zu haben. Wer den feinen und auch preislich gehobenen Abend scheut: Es gibt auch ein Tagesrestaurant! Ein Erlebnis der anderen, einfacheren Art ist das nur wenige Kilometer entfernte Restaurant Nami Namaste der finnischen TV-Journalistin und Kochbuchautorin Sikke Sumari. Das Landhaus, in dem sogar schon der Präsident Estlands nächtigte, ist kein Palast, sondern ein stilvoll renoviertes Bauernhaus mit charmant einfachem Luxus. Und die Küche ist ein Gedicht der Frische. Sikke ist mit ihren Kochshows im finnischen TV eine Berühmtheit. Unterstützt wird sie im Sommer von dem Holländer Albert Veenendaal. Gemeinsam präsentieren sie traditionelle estländische Küche mit italienischem Input. Aus dem eigenen Garten, immer alles frisch und mit viel Ruhe zubereitet.

Riga rigoros…

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…von Muhu sind es über Pärnu rund 250 Kilometer bis in Lettlands Hauptstadt Riga. Auch hier dominiert in der Altstadt das Mittelalter. Doch diesmal ergänzen sich die finsteren Mauern mit viel feinem Jugendstil. Rigas Jugendstilviertel rund um die Alberta iela gehört zum Feinsten, was Europa an Jugendstilarchitektur zu bieten hat und kann sich mit Paris oder Prag messen. Rund um die fein verzierten Bürgerhäuser lohnen gehobene und feine Genüsse. In einer Jugendstilwohnung residiert der exklusive Schuhladen Madam Bonbon, direkt daneben der Tabakladen Alberta´s Pipe Salon, in dem man edelste kubanische Zigarren und teuren armenischen Cognac genießen kann. Nur zwei Straßenecken weiter liegt das Beste aller guten lettischen Restaurants, das Vincents. Es war 2018 die Nummer zwei im Baltikum. Im Gästebuch des Vincents findet man US-Präsident Georg Bush, Prinz Charles und Elton John. Wem dies zu edel ist, dem seien ein paar andere kulinarische Erlebnisse empfohlen: Das 3 pavaru restorans an der Torna iela serviert feine Kost mit einem kulinarisch künstlerischen Tischgemälde. Danach sollte man ins Café Rienzi gegenüber dem Hotel Steigenberger wechseln, um Kokos-Mandel- oder Blaubeertrüffel probieren. Die Bäckerei und Konditorei Rigensis in der Tirgonu iela vereint traditionelle lettische Brotkunst mit feinsten Hausmachertorten. Rigas Markthallen hinter dem Bahnhof sind ein Muss für jeden Foodie. Und wenn man einmal richtig gut und einfach baltisch-russisch essen will, dann gibt es nur eins, das Pelmeny in der zentralen Kalu iela. Es wird in den Bloggs gefeiert, „best place ever!“, und mit bis zu 5 Sternen dekoriert. Eigentlich ist es ja so eine Art Fast-Food-Kette, aber die legendären Teigtaschen, die russische Variante der schwäbischen Maultaschen, sind gebraten oder gekocht, mit Schmand oder Tomaten, ein Gedicht. Der Preis auch, denn mehr als drei, vier Euro wird man hier kaum ausgeben.